24. Oktober 2016

Suchmaschinenmarketing

Bing – Von richtigen Absichten und falschen Zahlen

Bing die ungeliebte Suchmaschine Icon Bild

Ach, Bing – bei deinem Namen denke ich beinahe nostalgisch zurück. 2009, mit Chipstüte und Apfelsaftschorle in der Hand, war ich dabei, als du mit Fahnen und Trompeten das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurdest. Schon damals wollte mir dein Name nicht so wirklich über die Lippen: “Bing”. Das Geräusch einer Glühbirne, die blitzschnell erleuchtet – und mir die Informationen bietet, die ich benötige. Zumindest, wenn man Microsofts Marketingabteilung Glauben schenken mag. Bing ist eng verzahnt mit dem Ökosystem Microsoft und hat in den letzten Jahren erhebliche Entwicklungsschritte durchlaufen. Zuletzt hat das Suchnetzwerk sogar die 10-Prozent-Hürde in Deutschland geknackt. Die Marktanteile von Bing steigen. Zu Beginn lieferte Microsofts Suche aber vor allen Dingen eines: Verwirrung.

Bing ist der Nachfolger von Live Search, welches wiederum aus MSN Search hervorging. Während MSN Search nicht viel mehr war als eine Suchleiste auf (dem damals noch hochrelevanten) MSN, versuchte Microsoft mit Live Search erstmals einen Angriff auf Googles Quasi-Monopol – mit überschaubarem Erfolg. Live Search dümpelte jahrelang um die 8-Prozent-Marke herum. Selbst diese bescheidenen Marktanteile kamen in erster Linie dadurch zu Stande, dass MSN im Internet Explorer als Startseite voreingestellt war. Wirklich wichtig im Suchmaschinenmarkt waren um 2007 andere Player, allen voran Google und Yahoo. Zwei Jahre später stellte Yahoo die Entwicklung des eigenen Suchalgorithmus weitestgehend ein – seitdem laufen alle Suchanfragen über Bing.

“Bing – das ist doch diese Seite mit den schönen Bildern!”

Die Bing-Bildersuche gilt unter Experten als überlegene Alternative von Google Images. Sie zeigt Vorschaugrafiken in einer höheren Auflösung an als die Konkurrenz. Dennoch suchen die meisten Menschen nicht bei Bing nach Bildern. Ein Beispiel: Google bietet mit der Bildersuche die Möglichkeit, eine Grafik hochzuladen, um das Internet nach ebendiesem Bild durchsuchen zu lassen. Das kann zum Beispiel hilfreich sein, wenn die Ursprungsseite eines Bildes nicht mehr auffindbar ist. Auch Bing bietet eine solche Funktion. Doch im Vergleich offenbart sich: Bing hat nicht nur Schwierigkeiten, die Originalquelle ausfindig zu machen, auch die Resultate optisch ähnlicher Bilder wirken bisweilen beliebig. Wir schlussfolgern: Der Otto Normalverbraucher interessiert sich nicht für technische Details wie die Bildauflösung, die Relevanz der Suchergebnisse ist entscheidend.

Generell versucht der Service Bing stark durch Visualität zu beeindrucken. Sei es die prominente Platzierung von Bildern in den SERP (Treffer einer Suchanfrage) oder der Knowledge and Action Graph, der ergänzende Informationen zu meiner Suche liefert. Bei der Suche nach einem Schauspieler sind dies etwa bekannte Filme und die wichtigsten Daten zur Vita der betreffenden Person. Alles mit Grafiken untermauert. Aber auch im Erscheinungsbild gibt sich Bing bildgewaltiger als Google: Während Googles Startseite durch Minimalismus besticht, präsentiert Bing jeden Tag eine neue Fotografie (zumeist Natur & Tiere) auf der Startseite. Als ich mich kürzlich mit einem Kollegen über die Microsoft-Suchmaschine unterhielt, resümierte dieser zu Bing: “Das ist doch die Seite mit den schönen Bildern!”. Über seinen Eindruck war ich nicht überrascht.

Microsoft lässt die Korken bingen

In Redmond ließ man vergangene Woche öffentlichkeitswirksam die Korken knallen. Was war geschehen? Das Team von Bing feierte 10 Prozent Marktanteil in Deutschland, immerhin einem der weltweit wichtigsten Märkte für Suchmaschinen. Hauptkonkurrent Google müsse sich demnach warm anziehen, um nicht seine Nutzer an “Peng!” – Verzeihung – Bing zu verlieren. Oder? Der Schein trügt. Schaut man sich die Nutzungszahlen in Deutschland genauer an, wird klar, wie Microsoft den Marktanteil zurechtbiegt. Der Konzern ist längst nicht mehr nur der größte Softwarelieferant der Welt, Microsoft baut seit einigen Jahren auch Smartphones, Tablets und natürlich die hauseigene Spielekonsole Xbox. Und womit wird auf all diesen Geräten standardmäßig gesucht? Volltreffer, mit Bing!

Cortana gibt Bing ein Gesicht

Einen erheblichen Schub dürfte auch die aggressive Markteinführung vom aktuellen Flaggschiffprodukt Windows 10 gewesen sein. Mit penetranten Dauer-Aufforderungen zum kostenlosen Update und dem dreisten Auto-Upgrade hat Microsoft seit 2015 rund 400.000 Benutzer auf die aktuelle Ausgabe des Betriebssystem gebracht. Mit an Bord ist die Sprachassistenz Cortana. Diese virtuelle Schönheit (übrigens entstammt Cortana der Videospielreihe Halo) versteht sich blendend mit Bing – mit Google eher weniger. Mit jeder lokalen Suche in Windows 10 durchstöbert Cortana das Web nach Informationen, die zu meiner Suche passen könnten – steigende Marktanteile im Hause Microsoft waren vorprogrammiert. Digitale Helferlein wie Siri kennen wir bisher nur vom Smartphone. Windows 10 führt auch User klassischer Computer näher an die Nutzung intelligenter Sprachassistenten heran – Cortana gibt Bing gewissermaßen ein Gesicht.

Im Heimatmarkt Nordamerika ist Bing mit Abstand am erfolgreichsten – beinahe 30 Prozent der Amerikaner bevorzugen die Suchmaschine aus Redmond. Dies hat Microsoft einer Vielzahl von Kooperationen zu verdanken. Mehr als ein Viertel des Traffics kommt durch eine florierende Partnerschaft mit Yahoo zustande. Die einstigen Konkurrenten Yahoo und AOL nutzen mittlerweile Bing, um die Suchanfragen ihrer Benutzer zu verarbeiten. Aber auch Facebook hat in Bing investiert: Die interne Netzwerk-Suche nutzt Technologien der Marke Microsoft. Unterstützung erfährt Bing aus aus Übersee: In China, einem der am schnellsten wachsende Märkte weltweit, kooperiert der Marktführer baidu mit Microsoft, um englischsprachige Suchanfragen besser verarbeiten zu können.

Wir merken: Wer Microsoft-Services nutzt, nutzt automatisch auch Bing. Ob er das nun will oder nicht. Die vielzitierte 10%-Marke von Microsoft kann in erster Linie als Marketingwerkzeug gesehen werden und nicht als Trendwende.

Big G is Watching Me

Seit 2009 pflege ich meinen Google-Account. Jeden Tag laufen dort unzählige Daten zusammen. Nachrichten aus Gmail und Hangouts, Notizen aus Keep, Kalenderdaten aus Google Calendar. Aber vor allen Dingen eines: Mein Suchverlauf. Durch die tägliche Nutzung der Google-Suche kennt mich der US-amerikanische Konzern mittlerweile ganz gut. Meine Interessen, meinen Standortverlauf, meine Fragen, auf die ich tagtäglich eine Antwort suche. Sogar über die wunden Punkte meiner Rechtschreibung weiß Google Bescheid: Ist man sich einmal unsicher, wie ein Wort geschrieben wird, geht der erste Klick zur Google-Suche.

Über diesen Zeitraum ist bei Google ein sehr genaues Profil meiner Person entstanden. Google gewährt mir auf den Großteil meines persönlichen Datenbergs keinen Zugriff, nutzt die Daten aber im Rahmen von Big Data-Mechanismen: Von mir gelesene Magazine erscheinen auf der ersten Seite der Suchergebnisse, Google Now bereitet Informationen aus all meinen Google-Diensten auf. Sogar gebuchte Flugtickets werden mittlerweile in der Suche angezeigt. Der Suchmaschinenkonzern kennt mich über die Jahre schlicht besser als Microsoft (auf deren Seiten ich mich ausnahmslos für OneDrive anmelde). Entsprechend persönlicher sind die Ergebnisse, die Google mir liefern kann.

Gute Zeiten für Bing-Pong

Seit iOS 7 stellt Apples Sprachassistenz Siri Informationen aus dem Internet über Bing bereit. Es ist anzunehmen, dass in Bälde auch die Standardsuche in Safari auf die Suchtechnologie aus Seattle umgestellt wird. Selbstverständlich hat der Nutzer nach wie vor die Möglichkeit, seine bevorzugte Suchmaschine in den Einstellungen anzupassen. Fakt ist jedoch auch, dass der Großteil der User die getroffenen Standardeinstellungen nicht verändern und mit Bing Vorlieb nehmen wird.

2004 schlossen Firefox und Google ein Abkommen. Mozilla sicherte zu, alle Suchanfragen standardmäßig über das große G laufen zu lassen. Im Gegenzug erhielt die Non-Profit-Organisation finanzielle Unterstützung seitens Google. Diese Partnerschaft beider Unternehmen besteht seit zwei Jahren nicht mehr. Mozilla hat die Standard-Suchmaschine in einigen Ländern wie USA (Yahoo), Russland (Yandex) und China (baidu) bereits auf Konkurrenten umgestellt – Deutschland könnte folgen. Der Suchmaschinenmarkt bleibt hart umkämpft und das ist gut so. Denn eine starke Google-Konkurrenz ist wichtig, um den Wettbewerb aufrecht zu erhalten.

Übrigens: Ich nutze täglich Bing. Vielmehr mein Handy, automatisch im Hintergrund. Um Punkt 0 Uhr lädt mein Smartphone das aktuelle Hintergrundbild von Bing herunter und schmückt meinen Sperrbildschirm damit. So kann ich mich jeden Morgen auf eine neue Naturaufnahme freuen. Liebes Bing, irgendwo wirst du für mich immer die Suchmaschine mit den schönen Bildern bleiben.

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